Interview: "Wir werden die Betroffenen nicht im Stich lassen!"

06.08.2021

Herr Seif, vor drei Wochen haben ungeheure Wassermassen massive Zerstörungen verursacht. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?

Das Ausmaß der Katastrophe ist für mich nach wie vor unfassbar. Das menschliche Leid lässt sich kaum in Worte fassen. Besonders tragisch ist, dass Menschen ihr Leben verloren haben, auch Helfer, als sie anderen Menschen das Leben retteten.
In den vergangenen Wochen habe ich mir persönlich in der Region ein Bild über die Gesamtlage machen können. In den Medien stehen nur wenige Kommunen im Fokus. Dabei sind nahezu alle Städte und Gemeinden des Kreises Euskirchen und Erftstadt stark betroffen. Aus vielen Gesprächen mit Betroffenen, Einsatzkräften und Bürgermeistern konnte ich sinnvolle Vorschläge mitnehmen und Einfluss auf die zuständigen Behörden nehmen. So war beispielsweise die Entsorgung des Mülls anfangs gehemmt, weil die Kostenfrage unklar war. 
Als Ansprechpartner für Bürger und die Kommunen bestand meine Arbeit in den vergangenen Wochen zu einem Großteil im Organisieren von Hilfs– und Spendenangeboten und ging von der Beschaffung von Bautrocknern bis hin zur Änderung kreditwirtschaftlicher Vorschriften. 

Was ist Ihnen in den letzten Wochen besonders im Gedächtnis geblieben?

Beeindruckt haben mich die vielen Helfer, die anpacken. Sei es der Einsatz der Männer und Frauen des THW, der Feuerwehr, des DRK, des ASB, oder der Malteser und Johanniter, ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Die Bundeswehr hat mit schwerem Gerät unterstützt, Beamte der Bundespolizei und der Landespolizeien haben mit angepackt. Was wären wir ohne unsere Landwirte und Bauunternehmer gewesen, die ungefragt wertvolle Hilfe mit schwerem Gerät leisteten und Tag und Nacht im Einsatz waren? Darüber hinaus leisten viele Menschen aus nah und fern einen großartigen Einsatz. Die große Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit gibt uns Mut.

Was muss die Politik jetzt leisten?

Zunächst war die Soforthilfe ein starkes Signal. Mancher Betroffene hatte noch nicht einmal einen Euro in der Tasche. Die Soforthilfe gibt aber nur einen ersten finanziellen Spielraum. Wichtig ist, dass wir jetzt möglichst zügig den bereits auf den Weg gebrachten Wiederaufbaufonds beschließen. Hierdurch werden wir den Betroffenen wirksam helfen. Es ist parteiübergreifender Konsens, dass die Betroffenen durch die Hochwasserkatastrophe nicht in die Armut getrieben werden dürfen. Wir lassen die Betroffenen nicht im Stich. Unabhängig vom Wiederaufbau müssen wir den Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe auf allen Ebenen verbessern. Hierin sehe ich einen Schwerpunkt meiner zukünftigen Arbeit.

Was meinen Sie konkret?

Das Erkennen der Risiken und die Alarmierungen müssen besser werden. Es fehlt offensichtlich an effektiven Strukturen. Wir alle müssen Katastrophenfälle üben, damit wir uns richtig verhalten, wenn es ernst wird. Die Abläufe im Fall einer Katastrophe müssen optimiert werden. Krisenstäbe müssen ad hoc in der Lage sein loszulegen. 
Das setzt neben einer verbesserten Ausrüstung auch eine gute Ausbildung und ein intensives Training voraus. Der Fall, dass ein Krisenstab bei Stromausfall mit Kerzenlicht tagt, muss der Vergangenheit angehören. Nicht zuletzt braucht es einen verbesserten Hochwasserschutz. Man kann sich vor einem Starkregen nicht zu 100% schützen, aber man kann zusätzliche Retentionsflächen schaffen, Talsperren und Rückhaltebecken ausbauen und vieles mehr.

Das Interview führte Werner Knorr für die neuste Ausgabe des Rundblicks.